Lebendig, kräftig und schärfer

Predigt am 20. Februar 2022 im Lutherhaus Pankow

zu Hebräer 4,12-13

Sonntag Sexagesimä

von Pfarrer Eike Thies

Friede von Gott, der da ist, der da war und der da kommen wird. Amen.

Was Kraft hat, kann nicht harmlos sein. Auch Gottes Wort nicht. So steht es im Brief an die Hebräer:

12 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.

*

Es stürmt. Der Wind weht sichtbar und scharf durch den Garten. Seine Finger packen die Birke und schütteln sie kräftig hin und her. Es ist Nacht und die Lichter der Laterne flackern im bewegten Schatten der Äste. Ein Ast bricht ab und fällt krachend zu Boden. Am Boden drehen sich die Herbstblätter des letzten Jahres in einer Windhose. In der Mitte geben sie den Blick auf den nackten Erdboden frei. Die flinken Füße der Kinder hat die Erde plattgetreten. Nur hier und da sind ein paar Büschel Gras zu sehen. Noch liegt der Garten unbebaut da. Bald aber graben sich die Spaten und die Hacken in den Boden und lockern ihn auf. Das wird viel Arbeit sein. Arbeit, die daran erinnert, dass der Mensch, seit er die Unschuld verloren hat, dem Boden seinen Ertrag abringen muss. Im Schweiße seines Angesichts kratzt er den Boden auf. Es ist das gleiche auf den Feldern und in den Gärten, seit Jahrhunderten, zuerst mit den bloßen Händen, mit der Hacke und dem Pflug und heute mit den Landmaschinen. Dann aber, wenn der Boden bearbeitet ist, kann der Samen ausgeworfen werden und nach kurzer Zeit brechen sich die ersten Halme einen Weg durch die Erde, bis der ganze Garten grün stehen. Regen und Sonne durchfeuchten den Boden und ziehen die Halme ans Licht.

Jetzt im Frühling, wenn der Wind die letzten Reste von Eis und Schnee davonweht und die Erde neu aufblüht, dann bekomme ich eine Ahnung vom Wort Gottes, wie es der Prophet Jesaja beschreibt. Wie der Regen durchfeuchtet es die trockene Erde. Neues Leben bricht sich Bahn. Wo es regnet, da ist Leben. Ich bekomme Lust, meine Hände in die lebendige Erde zu graben, nach dem Leben zu graben, das dieses Wort für mich bereithält. Gott selbst pflügt mich durch, bereitet mich vor, macht mich zu gutem Boden, dass sein Wort nicht leer zu ihm zurückkehrt. Wie der Sämann in Jesu Gleichnis, streut Gott das Wort auf mir aus. Mit ganzer Hand greift Gott in den Beutel und streut mit weitem Wurf den guten Samen aus. Und er fällt auf den Boden wie in meine Seele, fällt auf meine ausgetretenen Pfade, zwischen die Disteln und das Unkraut, fällt auf guten Boden und bringt Frucht. Überall dorthin fällt der Same. Mal hat er es leichter, mal hat er es schwerer, aber er wächst und bricht sich Bahn und setzt sich durch. Gottes Wort setzt sich durch. Es ist lebendig und kräftig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert. Und ein zweischneidiges Schwert hält so schnell nichts auf. Es gibt keinen Widerstand, der sich ihm in den weg setzten könnte.

Bis hierhin passt das Bild für mich, auch das zweischneidige Schwert, dann aber regt sich Widerstand. Gottes Wort trennt Mark und Bein, Seele und Leib und nichts bleibt vor ihm verborgen. Weil ich mich plötzlich genötigt fühle, mich auseinanderzusetzen, mit meinem ausgetretenen Boden und den Dornen und Disteln in meiner Seele. Vor Gott liegen sie offen dar, meine ganze Unordnung, meine Un-heiligkeit, die Ruine davon, was ich sein will oder sein könnte. Die verdammte Fehlbarkeit, keiner meiner Rollen, die ich lebe, genügen zu können und wenn ich nach eigenen Lösungen suche, dann drehe ich mich nur im Kreis. Dann erlebe ich Gottes Wort wie eine Operation am offenen Herzen, bei der ich selbst zusehen muss und das ist zugegeben kein schöner Gedanke. Und ich finde, damit hat der Schreiber des Hebräerbriefes schlicht übertrieben mit seinem Bild. Bis hierin und nicht weiter, denke ich.

Der Verfasser des Hebräerbriefes hat seine Worte an eine verschlafene Gemeinde gerichtet. Er befürchtet, dass der Glaube nicht mehr genug Feuer hat, dass er wirklich im Leben der Gemeinde und in der Gesellschaft etwas austrägt. Er fürchtet, dass die Hebräer in einen Kult zurückfallen könnten, der nur um des Kultes willen zelebriert wird. Hohl ist sozusagen, wie der Staatskult der römischen Religion, eine neue Volksfrömmigkeit sozusagen, die sich über kurz oder lang selbst erledigt, weil sie irrelevant ist und sich selbst abschafft. Dagegen will er anspornen, der Gemeinde die Sporen geben, pieksen, dass sie wieder aufwachen oder Feuer unterm Hintern machen. Gottes Wort ist lebendig und kräftig und schärfer und nicht bloß heiße Luft.

Seine Worte aber spielen mit der Angst und sind jahrhundertelang auf staubtrockenen Pfaden ausgelegt worden als Gerichtsankündigung für alle, in denen Gottes Wort keine Frucht bringt. Aber diesen Pfad will ich nicht gehen. Ich muss nicht mit den Säbeln rasseln, das tun die Menschen eh. Mit Worten und mit Panzern. In diese Kerbe muss ich nicht auch noch hineinhauen. Gottes Wort ist scharf genug. Schärfer als ein zweischneidiges Schwert.

In diesem Jahr trifft sich die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der weltweiten Kirchen in Deutschland. Über eine halbe Milliarde Christinnen und Christen gehören dazu. Sie alle bekennen sich zu Christus, dem einen Wort Gottes. Nicht mehr und nicht weniger gehört dazu. Nach dem zweiten Weltkrieg ist der Rat gegründet worden und setzt sich seither für die Einheit der weltweiten Christenheit ein. Heute betont er die Einheit in Vielheit der weltweiten Kirche. Die Trennung durch die Konfessionen erleben die Mitglieder heute weniger als Wunde. Man besinnt sich auf die gemeinsame Wurzel: Christus.

Es ist schön, zu erleben, wie so unterschiedliche Konfessionen miteinander ein Ziel verfolgen. Ich verstehe mich gern als Teil einer Gemeinschaft, die über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinausgeht. Sie weltweit zu denken, fällt mir leicht. Die ganze Erde ist ein Acker, auf den Gott sein Wort streut. Gott geht dabei verschwenderisch um, kein Flecken entgeht dem weiten Wurf.

Das Thema der Vollversammlung hätte der Verfasser des Hebräerbriefs wahrscheinlich zu lau gefunden: Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt. Angesichts der scharfen Waffen an der Grenze zur Ukraine, der Klimakrise und der nicht nur durch Corona sichtbar gewordenen Ungleichheit bei der Verteilung der weltweiten Ressourcen, würde ihm das Thema vielleicht nicht scharf genug sein. Vielleicht sind die versöhnenden Töne aber gerade jetzt die richtigen. Vielleicht ist es gut, sich gegenseitig der Räume zu versichern, in denen Versöhnung gelebt werden kann, damit unsere Gesellschaft nicht noch weiter zerbricht. Wir werden viel gut zu machen haben, gegenseitig, wenn wir diese Pandemie überstanden haben oder den nächsten Krieg. Da bin ich sicher.

Gottes Wort ist zuallererst lebendig und bricht sich Bahn, wo es auf guten Boden fällt. Dort verspricht es einen Neuanfang. Ist es erst einmal gesät, kann es durch nichts mehr aufgehalten werden. Anstatt scharfer Worte zu sprechen, will ich lieber den Boden bereiten, meine Hände in die Erde graben und ausgetreten Pfade auflockern, damit Gottes Wort es leichter hat. Scharf genug ist es schon von ganz allein.

Amen.

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